Wie kommen Startups zu öffentlichen Aufträgen? Wie laufen solche Prozesse ab und welche Verfahrensarten gibt es überhaupt? Dr. Oliver Wittig, Jurist und Spezialist für das Gebiet Vergaberecht, hat zu dem Thema vor wenigen Wochen einen Vortrag gehalten. Die wichtigsten Informationen könnt Ihr nun hier nachlesen.
Die Prinzipien des Vergaberechts
Das Vergaberecht regelt die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an Unternehmen. Zu den wichtigsten Grundprinzipien zählen Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und Gleichbehandlung. Letztlich soll der bestmögliche Umgang der öffentlichen Hand mit öffentlichen Geldern erreicht werden („best value for taxpayers money“). Zudem lassen sich aus dem ab einem bestimmten Vergabevolumen anwendbaren Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) weitere Prinzipien für das Vergaberecht ableiten. Dazu gehört die Wettbewerbsförderung, nach der jedes Unternehmen eine Chance erhalten soll. Diese Chancengleichheit gilt nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend, um die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaftsregion Europa sicherzustellen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Schutz des Mittelstands und kleiner Unternehmen. Zu deren Schutz besteht die Pflicht zur Losaufteilung. Dabei muss geprüft werden, wenn eine bestimmte Leistung beschaffen werden soll, ob sich diese Leistung in Lose zerlegen lässt – sowohl in Fach- als auch in Mengenlose – und wenn dies möglich ist, dann muss dies auch erfolgen. Zudem gibt es eine Begründungspflicht für die Gesamtvergabe oder bestimmte Losgrößen. Neben den Prinzipien des Vergaberechts ist es essenziell zu verstehen, wann das nationale Vergaberecht und wann das EU-Vergaberecht gilt.
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Nationale Vergaberecht vs. EU-Vergaberecht
Ob nationales oder EU-Vergaberecht gilt wird anhand von gewissen Schwellenwerten bestimmt. Europa reguliert das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte, alles unterhalb unterliegt dem Haushaltsrecht von Bund, Ländern und Kommunen. Die Schwellenwerte werden von Europa vorgegeben. Oberhalb dieser Schwellenwerte werden sämtliche Vergaben gezählt, die EU-Relevanz haben. Unterhalb des Schwellenwerts wird aufgrund des Auftragsvolumens grundsätzlich unterstellt, dass kein grenzüberschreitendes Interesse an der Vergabe besteht. Hier haben die nationalen Gesetzgeber die Freiheit, das Vergaberecht zu regeln.
Übersicht zu den Schwellenwerten
Bauaufträge | Lieferaufträge | Dienstleistungsaufträge | Konzessionen | |
Öffentliche Auftraggeber | € 5.350.000 | € 214.000 | € 214.000 | € 5.350.0 |
Sektorenauftraggeber: Wasser, Strom, Gas, Wärme, Verkehr | € 5.350.000 | € 428.000 | € 428.000 | € 5.350.000 |
Oberste bzw. obere Bundesbehörde bzw. vergleichbare Bundeseinrichtungen | € 5.350.000 | € 139.000 | € 139.000 | € 5.350.000 |
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Verfahrensarten und ihre Abläufe
Je nachdem, ob es sich um nationales oder EU-Recht handelt, werden unterschiedliche Verfahrensbezeichnungen genutzt. Die begrifflichen Differenzen bestehen, sodass direkt ersichtlich wird, ob es sich um ein Vergaberecht oberhalb oder unterhalb des Schwellenwertes handelt.
Nationales Recht | Europa-Recht |
öffentlich Ausschreibung | offenes Verfahren |
Beschränkte Ausschreibung | nichtoffenes Verfahren |
Verhandlungsvergabe | Verhandlungsverfahren |
An dieser Stelle schauen wir uns die drei aufgeführten Verfahrensarten etwas genauer an und beginnen dafür mit dem offenen Verfahren bzw. mit der öffentlichen Ausschreibung. Hierbei kommt es zuerst zu einer Bekanntmachung der Ausschreibung. Eine unbeschränkte Anzahl an Unternehmen wird dabei aufgefordert, ein Angebot zu unterbreiten, welches im Anschluss geprüft und bewertet wird. Nach der Bewertung wird der Zuschlag vergeben.
Bei den nichtoffenen Verfahren bzw. bei den beschränkten Ausschreibungen findet ein vorgeschalteter Teilnahmewettbewerb statt, bei dem die Teilnehmenden auf ihre Eignung geprüft werden. Nur die geeigneten Unternehmen werden im Folgenden zur Angebotsabgabe aufgefordert. Ein Angebot wird dementsprechend nur von einer beschränkten Anzahl von geeigneten Unternehmen angefordert. Der weitere Verlauf ist identisch mit dem des offenen Verfahrens bzw. der öffentlichen Ausschreibung.
Nun kommen wir noch zu einem Ausnahmefall, nämlich dem Verhandlungsverfahren bzw. der Verhandlungsvergabe. Hier findet ebenso ein vorgeschalteter Teilnahmewettbewerb statt, bei dem die Teilnehmenden auf ihre Eignung geprüft werden. Nach der Angebotsaufforderung und -abgabe gibt es zudem noch eine Verhandlungsphase, in der die Möglichkeit besteht, dass Auftraggebende und Auftragnehmende nochmal miteinander ins Gespräch kommen, um beispielsweise zu klären, wie das Angebot gemeint ist, ob es noch Unklarheiten gibt, ob kleinere Klarstellungen an den Ausschreibungsunterlagen erfolgen sollen usw. Darauf folgt dann ein zweites Angebot und erst danach wird ein Zuschlag erhalten.
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Was Ihr noch wissen solltet
Die Eignung ist einer der essenziellsten Aspekte, um an dem Auswahlprozesses teilzunehmen. Wenn Ihr als Startup möglicherweise nicht allen Anforderungen nachkommen könnt, die nach den Ausschreibungsbedingungen an die Teilnehmenden gestellt werden, besteht die Möglichkeit, eine sogenannte „Eignungsleihe“ in Anspruch nehmen. Das bedeutet, dass die Auftraggeber:in zwar die Eignung prüft, ein Startup aber sagen kann, dass es in einem gewissen Bereich, in dem die eigene Eignung gegebenenfalls nicht reicht (technisch, wirtschaftlich, etc.), sich die Eignung von einem Dritten „leiht“. Der Dritte tritt dann dafür ein, dass für die Zeit der Auftragsausführung das Startup gegebenenfalls auf die Ressourcen des Dritten zurückgreifen kann. Da der Auftraggebende über den Zeitraum der Auftragsdurchführung abgesichert ist, wird die Eignungsleihe der eigenen Eignung gleichgestellt.
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Nach einer erfolgreichen Eignungsprüfung stellt sich die Frage, wie konkret die Prüfung eines Angebots abläuft. Hierfür werden vier Wertungsstufen genutzt, die nun vorgestellt werden. Vorab lässt sich noch sagen, dass bei den ersten drei Stufen die Angebote einzeln geprüft werden und erst auf der vierten Stufe ein Vergleich hinsichtlich des wirtschaftlichsten Angebots erfolgt. In der ersten Wertungsstufe muss die öffentliche Hand prüfen, ob formelle oder inhaltliche Ausschlussgründe in rechnerischer, technischer und wirtschaftlicher Hinsicht bestehen. In der zweiten Wertungsstufe erfolgt die Eignungsprüfung der Bietenden und im Anschluss wird in einer dritten Wertungsstufe die Auskömmlichkeit der Angebote geprüft. Bei der letzten Wertungsstufe wird das wirtschaftlichste Angebot ermittelt. Hinsichtlich der Zuschlagskriterien lässt sich noch sagen, dass nicht nur der Angebotspreis im Fokus steht, sondern auch die qualitativen, umweltbezogenen oder sozialen Aspekte berücksichtigt werden können. Hierbei spielen zudem politische Zielsetzungen und internationale Standards sowie die Unternehmensverantwortung eine Rolle.
Zum Schluss erfahrt ihr noch etwas zu den Themen Angebotsfrist und Auftragsänderungen. Wenn es um die Angebotsfrist geht, so muss seitens der öffentlichen Hand diese so gewählt werden, dass es einen fairen Wettbewerb gibt, d.h. die Fristen müssen ausreichend lang sein. Wenn zusätzliche Informationen vor Ablauf der Angebotsfrist nachgereicht werden oder die Auftraggeber:in Änderungen an den Vergabeunterlagen vornimmt, besteht beispielsweise das Gebot einer angemessenen Fristverlängerung. Wie lange diese Fristverlängerung letztlich ist, hängt auch davon ab, wie erfahren die an der Ausschreibung Teilnehmenden sind. Wenn z.B. viele Startups dabei sind, die im Vergabeverfahren noch nicht so erfahren sind, dann müssen die Fristen entsprechend ausreichend verlängert werden. Bei wesentlichen Auftragsänderungen reicht eine Fristverlängerung nicht aus. Hier gilt die Regelung, dass gegebenenfalls eine Neuausschreibung des Vergabeverfahrens stattfinden muss, da nicht ausgeschlossen ist, dass sich andere Teilnehmer:innen nun ebenfalls für die Ausschreibung interessieren. Wesentlich sind dabei die Änderungen, die dazu führen, dass sich der Auftrag erheblich von dem ursprünglich vergebenen Auftrag unterscheidet.
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Q&A
Was machen Startups am häufigsten falsch?
Häufig, wenn man unerfahren im Vergaberecht ist, begeht man schnell formelle Fehler, da die Vorgaben sehr strikt sind, passiert es hierbei schnell, dass man dadurch aus dem Verfahren rausfliegt.
Wo findet man Ausschreibungen?
Alle Ausschreibungen oberhalb der Schwellengrenze kann man beim EU-Amtsblatt finden. Man kann sich dort registrieren und auch entsprechend filtern.
Welche staatlichen Hilfen gibt es zum Thema Vergaberecht?
Hilfreiche Unterlagen kann man auf der Seite des Wirtschaftsministeriums finden. Es gibt zudem von einigen Landesministerien gute Unterlagen, aber auch über Verbände, z.B. in den Bereichen Verkehr, Elektrizität usw. findet man branchenspezifische Unterlagen. Außerdem gibt es gute Bücher, unter anderem auch von Oliver Wittig dazu.
Wenn eine Vergabe aufgehoben wird und später nochmal neu ausgeschrieben wird – kann man dagegen vorgehen?
Es gibt bestimmte Gründe, durch die ein Verfahren aufgehoben werden kann, wenn diese Gründe vorliegen, ist die Aufhebung rechtmäßig. Wenn die Gründe nicht vorliegen, dann ist die Aufhebung rechtswidrig und wenn das Verfahren dann erneut ausgeschrieben wird und man in der ersten Phase vorne lag, kann man Schadensersatz fordern.
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